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Der Zukunftstag – Dein Crashkurs fürs Leben

LORENZO WIENECKE: So vielen Dank und Danke, dass sie sich dafür entschieden haben, den Vormittag hier mit uns zu verbringen, die nächsten 13 Minuten. Alles das, was wir tun, begann mit einem Tweet. Und auch wenn dem einen oder anderen von ihnen im Raum hier dieser vielleicht sogar schon ein bisschen auf die Nerven geht, weil wir in den letzten Jahren so häufig darüber diskutiert haben, haben wir uns doch dafür entschieden, dieses Twitter-Zitat ganz am Anfang von unserer Vorstellung zu stellen, weil es so gut wie nichts anderes, das auf den Punkt bringt, was uns vor fünf Jahren dazu motiviert hat, uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Für alle anderen, die den Tweet noch nicht kennen, ist er hier noch einmal. Die Kölner Schülerin Naina hat geschrieben, ich bin fast 18 und habe keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen, aber ich kann eine Gedichtsanalyse schreiben in vier Sprachen. Als Naina diesen Tweet verfasst hat, war ich gerade selbst Schüler, und zwar habe ich im Südniedersachsen Abitur gemacht, Leistungskurs Politik und Wirtschaft. Das heißt, man könnte meinen, ich hatte Ahnung von diesen Themen, hatte ich aber nicht. Ganz im Gegenteil, Naina hat mir mit dem, was sie dort geschrieben hat, total aus der Seele gesprochen. Und für mich war das Ganze nicht nur ein abstrakter Tweet, sondern es war eine ganz konkrete Zukunftsangst. Viele von meinen Mitschülerinnen und Mitschülern und auch ich waren mit diesen Themen tatsächlich belastet. Wir haben uns gefragt – nur um zwei Beispiele rauszupicken –, wie geht es eigentlich weiter nach der Schule? Wir wollten ausziehen zum Studieren und haben Schreckensgeschichten von älteren Freunden gehört, dass es so schwierig ist, eine Wohnung zu finden, dass da 50, 60, 70 Leute bei einer Besichtigung dabei sind, und für uns war es einfach eine ganz existenzielle Frage. Wie geht man das an? Oder eine andere Geschichte. Wir wurden auf den Schulhof angequatscht von Menschen, die uns Versicherungen verkaufen wollten. Kein Scherz. Und wir haben uns gefragt, ist das jetzt notwendig, oder wollen die nur Geld mit uns verdienen?

Alle diese Sachen haben bei uns viel Unsicherheit ausgelöst und es ist ein weiterer wichtiger Faktor ist dazugekommen, wenn ich einmal weiterschaue. Und zwar ist es so, dass Finanzielle Bildung eine Frage der Fairness ist, weil es ist so, dass heute noch das Elternhaus die Nummer eins Quelle ist, dieses Wissen zu vermitteln. Das Problem ist aber, wenn man dem Elternhaus das überlässt, dann sorgt das Ganze für soziale Spaltung. Es war bei mir konkret so und auch bei vielen von meinen Mitschülerinnen und Mitschülern, dass unsere Eltern uns viele wichtige Dinge vermitteln konnten, aber eben nichts in diesem Bereich. Das alles hat dazu geführt, dass wir gemerkt haben, Nummer eins, das Problem ist real. Das, was Naina beschreibt, da hat sich seit Jahren nichts getan. Es macht uns konkret Angst und es ist eine soziale Frage, und trotzdem ist so wenig passiert. Und wir haben überlegt, was können wir dagegen machen, und unser Motto war schon immer: Machen statt Meckern. Wir hatten damals ganz wenige Möglichkeiten. Wir waren eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern, wir hatten keinen Kontakt zur Politik, wir hatten kein Geld, sondern wir waren dazu gezwungen zu schauen, wie können wir selbst mit unseren begrenzten Ressourcen einen Unterschied machen?

Und aus dieser Not ist eine Tugend entstanden, und dieses Motto treibt uns heute noch an und vor allen Dingen ist daraus unser Projekt entstanden. Der Zukunftstag – Dein Crashkurs fürs Leben. Und der Zukunftstag ist ein Projekttag für Schulen, wo wir jeweils einen ganzen Jahrgang, also knapp 120 Schülerinnen und Schülern, Grundlagenwissen in den Bereichen Steuern, erste eigene Wohnung, Finanzen und Krankenversicherung vermitteln. Also all das, wo wir damals Angst davor hatten, und all das, wo wir unseren Mitschülerinnen und Mitschülern helfen wollten. Und dieser Projekttag wurde damals von uns konzipiert, und dann hat es ungefähr ein Jahr gedauert, bis wir einen Lehrer überzeugt hatten, den Zukunftstag an seine Schule zu holen. Und das war im Januar 2019 an der Albert-Schweitzer-Schule in Kassel. Und nach diesem Projekttag hatte sich alles ganz anders entwickelt, als wir dachten. Wir dachten, wir machen nur ein Projekt in unserer Stadt für unsere Mitschülerinnen und Mitschüler, und haben aber dann gemerkt, dass das ganze einen Nerv getroffen hat. Und jetzt ist es so, wenn ich einmal weiterklicken darf, dass der Zukunftstag im letzten Jahr an 397 Schulen stattgefunden hat. Dieses Jahr sind wir an über 600 Schulen mit 120.000 Schülerinnen und Schülern, und das Ganze in Deutschland, Österreich und der Schweiz und im Januar sogar an der deutschen Schule in Istanbul. Genau und wie diese Erfolgsgeschichte möglich war, das berichtet uns jetzt Anna.

ANNA WIENECKE: Genau. Lorenzo hat gerade schon angedeutet, wir waren einfach eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern. Wir hatten also keine finanziellen Mittel, und wir hatten auch keine Kontakte, auf die wir hätten zurückgreifen können, um dieses Projekt groß zu machen, und deswegen kam bei uns relativ schnell dieser Gedanke, okay, wir brauchen Unterstützung von Menschen, die eben genau das haben. Und inzwischen sind wir ein tolles junges Team, formiert in einer gGmbh mit Sitz in Frankfurt, und zugleich ist dieses hauptamtliche Team nur ein ganz kleiner Baustein in diesem Konstrukt Zukunftstag. Das soll auch diese Grafik so ein bisschen verdeutlichen, dass wir eben dieses Team in Frankfurt sind, das Projektmanagement betreibt und organisiert, aber dass wir von ganz vielen anderen Seiten unterstützt werden. Konkret zum Beispiel von unseren ehrenamtlichen Zukunftstagleitungen. Das sind Studierende, Young Professionals oder auch Seniorinnen und Senioren, die an die Schulen fahren und dort dafür sorgen, dass die Zukunftstage gut ablaufen und ansprechbar sind für Lehrkräfte und Referierende. Oder eben die Referierenden selbst. Wir wussten relativ schnell, erstens können wir gar nicht diese Menge an Zukunftstagen umsetzen, die wir jetzt heute umsetzen, und zweitens haben wir ja auch nicht unbedingt die Expertise. Inzwischen, viele von uns auch so ein bisschen natürlich, aber es gibt Menschen, die sich tagtäglich mit diesen Themen im Beruf auseinandersetzen und die wollten wir gerne mit einbinden. Und dann gibt es eben weitere Stakeholder. Da haben wir mal so ein bisschen gebrainstormt, wer alles so dazu gehört, das ist nicht unbedingt vollständig, diese Liste, aber ganz wichtig ist zu sagen, jede dieser Gruppen trägt dazu bei, dass der Zukunftstag überhaupt erst möglich wird, und exemplarisch würde ich jetzt gerne einfach mal so drei Gruppen rausgreifen.

Das ist als erstes die Wirtschaft – ich habe das gerade schon angeschnitten. Die Wirtschaft kann mit ihrer Expertise zu diesem Projekttag einen ganz großen Beitrag leisten. Konkret suchen wir lokale Expertinnen und Experten, wenn wir mit dem Projekttag in eine neue Region kommen, und dabei legen wir Wert darauf, dass die unsere Werte teilen, dass die also konkret, neutral und werbefrei ihr Wissen mit den Schülerinnen und Schülern teilen, und das Ganze auf ehrenamtlicher Basis. Und aus unserer Sicht ist das ein riesen Mehrwert für das Projekt, dass wir auf diese Art und Weise da wirklich so eine Real Life Experience für die Schülerinnen und Schüler schaffen können. Und inzwischen haben wir ein Netzwerk von mehr als 4.000 Referierenden, die jeden Tag mit uns gemeinsam diese Projekttage umsetzen.

Und die zweite Gruppe ist die Politik. Ohne die wäre der Zukunftstag sicherlich nicht so schnell gewachsen, wie er das getan hat. Und zwei der besonderen Unterstützer des Zukunftstag haben wir heute auch schon auf der Bühne gesehen. Das ist zum einen Professor Lorz. Der war als damaliger Kultusminister unser erster politischer Unterstützer und relativ früh in der Geschichte des Projekttages unser Schirmherr und hat uns in dieser Funktion wirklich ganz praktisch unterstützt, indem er zum Beispiel das Projekt über das Ministerium bei den Schulen in Hessen bekannt gemacht hat. Und inzwischen finanziert auch das Land Hessen eine ganze Reihe dieser Projekttage. Und das zweite, das haben wir vorhin auch schon ganz kurz gehört, ist Christian Lindner, der ebenfalls seit letztem Jahr unser Schirmherr ist und uns eben zu einem besonderen Zukunftstag letztes Jahr ins Bundesfinanzministerium eingeladen hat, da er selbst als Referent tätig war und damit auch wieder so ein Beispiel geschaffen hat, wie Finanzbildung ganz praktisch gelingen kann gemeinsam mit uns.

Und die letzte Gruppe, auf die ich jetzt nochmal ausführlicher eingehen möchte, sind viele von euch und ihnen hier heute auch, nämlich die anderen Finanzbildungsakteure. Wir wissen jetzt aus einigen Begegnung schon im Rahmen dieser Initiative und auch anderswo, dass es wirklich viele Menschen gibt, die wie wir für dieses Thema der Finanzbildung brennen und wir sind der Meinung, zusammen klappt es am besten. Vielleicht nicht jeder mit jedem, aber es gibt richtig viele gute und sinnvolle Anknüpfungspunkte, um Synergien zu schaffen. Und da möchte ich kurz noch ein Beispiel nennen. Wir haben von Lehrkräften häufig die Rückmeldung bekommen: Dieser Projekttag der ist toll, aber könnt ihr uns noch irgendwas an die Hand geben, um die Themen auch danach zu vertiefen? Und wir haben uns gedacht, ja, genau wir sind gut darin, Projekttage zu organisieren und auch die Kontakte zu den Schulen zu halten, aber Lehrmaterialien haben wir abgesehen von unseren eigenen Workshop-Materialien noch nicht selbst entwickelt. Und deswegen haben wir uns umgeguckt, wer kann das denn vielleicht noch besser als wir, und sind dann relativ schnell auf unsere Freunde von Finanztip gestoßen. Die machen ja genau das. Die Stellen richtig gute Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, damit Lehrkräfte eben Finanzwissen in der Schule vermitteln können. Und gemeinsam haben wir dann Lernmaterialien oder Unterrichtsmaterialien entwickelt, die wir jetzt den Lehrkräften kostenlos zur Verfügung stellen, wenn sie den Zukunftstag an ihre Schule gebracht haben, und haben so diese Themen noch mal weitergehend vertieft und im Unterricht verankert.

LORENZO WIENECKE: In Vorbereitung für diesen Vortrag – heute noch – für diese Konferenz, saßen wir als Team noch mal zusammen und haben uns eigentlich gefragt: Wie war das möglich? Wie hat es eine mittellose Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus Kassel geschafft, innerhalb von so kurzer Zeit so viele Schulen zu erreichen? Und wir kamen relativ schnell zu dem Punkt, dass das Erfolgsgeheimnis – wenn man es so nennen darf – vielleicht ist, dass wir gar kein Finanzbildungsprojekt im eigentlichen Sinne sind, zumindest nicht nur ein Finanzbildungsprojekt. Viel mehr ist der Zukunftstag und das, was wir tun, eine integrative Finanzbildungsplattform. Was meine ich damit? Wir hatten die Not, dass wir selbst wenig an Mitteln hatten und deswegen haben wir überlegt, wie können wir vielleicht Leute zusammenbringen. Und genau das tun wir. Der Zukunftstag ist eine Plattform, wo ganz viele verschiedene Akteure zusammenkommen und gemeinsam so Wirkung gestalten können.

Und ein anderer Punkt, den wir jetzt ganz am Ende noch mitgeben möchten, sind zwei weitere Erkenntnisse, die wir in diesem Prozess hatten. Wir haben das ganze Mal probiert, in Hashtags zu formulieren. Der erste Hashtag ist für alle, die uns kennen, wahrscheinlich nicht verwunderlich. Das ist der Hashtag #machenstattmeckern. Und ich weiß, es hat jetzt schon im Vorfeld dieser Konferenz angefangen, dass es im Nachgang auf jeden Fall viel Diskussionen darüber geben wird, so nach dem Motto: Ist eine nationale Finanzbildungsstrategie zu viel oder zu wenig? Macht das hier alles Sinn? Sind Initiativen wie der Zukunftstag die Lösung, oder braucht es mehr oder weniger? Es gibt immer viel, was man kritisieren kann. Als wir damals in der Schule saßen und darüber verzweifelt waren, dass wir keine Ahnung von diesen Themen hatten, wurde auch schon seit vielen Jahren viel diskutiert. Das, was aber wenig gemacht wurde, war, konkret anzusetzen, wo man selber das kann, und wir haben uns deswegen damals versprochen, dass wir immer schauen werden, wie können wir machen statt meckern, wie können wir was konkret tun. Und das ist das, was ich ihnen mitgeben möchte. Schauen sie konkret, was sie mit ihren Möglichkeiten in ihrem Umfeld für einen Unterschied machen können.

Und diesen #machenstattmeckern-Hashtag, der für den Zukunftstag ja auch ein bisschen steht, den ergänzen wir heute um einen zweiten Hashtag und das ist der Hashtag #mitmachen. Wir glauben, dass Finanzbildung nur funktioniert, wenn möglichst viele aus der Gesellschaft mitmachen. Wir glauben – das ist die gute Nachricht –, dass jeder Einzelne und jede Einzelne von Ihnen mitmachen kann. Das ist einmal ganz konkret zu Hause in seinem persönlichen Umfeld. Wir haben in Deutschland so ein ganz schlimmes Vorurteil: Über Geld spricht man nicht. Machen sie es doch anders, sprechen sie mit ihren Kindern, mit ihren Eltern, mit ihren Vorgesetzten, jeden, der ihnen einfällt, über Geld, reden sie offen und schaffen sie selbst eine offene Kultur.

Zum anderen aber können sie auch mitmachen bei uns, und das ist das letzte, wo ich jetzt für werben möchte in meiner letzten Minute. Ganz, ganz viele verschiedene Akteure – das hat uns Anna exemplarisch aufgezeigt –, können zum Erfolg des Zukunftstages beitragen, und wir wollen allen diesen Akteuren dafür auch Raum geben. Egal ob sie jetzt Politiker oder Politikerinnen sind. Nehmen sie sich ein Beispiel an Christian Lindner und Professor Lorz und schauen sie, wie wir vielleicht regional oder überregional dem Projekttag mehr Aufmerksamkeit schenken können. Wenn sie Vertreter aus der Wirtschaft sind, hier sind einige, mit denen ich schon gesprochen habe, kommen Sie auf uns zu, und wir schauen, wie wir Sie gemeinsam einbinden können. Und last, but not least vielleicht die allerwichtigste Zielgruppe, sind Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Schulleiter, alle aus dem Bereich Schule. Diese 600 Projekttage, die wir dieses Jahr umsetzen, sind nicht da, weil wir auf Schulen zugehen, zumindest nicht im großen Stil. Die sind da, weil engagierte Lehrkräfte auf uns zukommen und sagen, wir wollen an unserer Schule den Raum für den Zukunftstag schaffen.

Und um diesen Spirit einzufangen, haben wir eine neue Website online gestellt: www.machenstattmeckern.org. Da können Sie drauf gehen – ich hoffe, der QR-Code funktioniert – und da ist ein Mitmach-Formular, und da kann sich jeder eintragen. Und mein Versprechen an alle hier im Raum und alle im Livestream: Wenn Sie sich dort eintragen, wird unser Team in den nächsten Wochen auf Sie konkret zukommen und schauen, wie wir Sie einbinden können, weil es unsere Vision ist, dass in ein paar Jahren eine Generation selbstbewusst sagen kann, ich habe Ahnung von Miete, Steuern und Versicherungen. Vielen Dank!